Sommerferien 2019: Fahrt nach Masuren und zurück (2.Teil)

Eine Reise nach Polen ist geschichtsträchtig und nicht nur für ausgebürgerte Exilanten und fast schon Deutsche. Es gibt mehrere Weltkulturerben. Einige haben wir uns angeschaut, andere haben wir im Vorbeifahren wahrgenommen, andere müssen warten. Auf dem Weg von Breslau nach Krakau, der ehemaligen Hauptstadt kamen wir nach Auschwitz-Birkenau, dem Ort gegen das Vergessen.

Es ist zwar anfänglich kaum ausgeschildert, aber vor Ort ist es dann unübersehbar. Scheinbar gehen alle Polen in den Sommerferien nach Auschwitz – Großfamilien, verliebte Paare, Motorradfahrer, Busse, Taxis aus Krakau mit ausländischen Touristen – Deutsche, Nord- und Südamerikaner, Franzosen standen vor dem Eingang Schlange. Es geht nur mit Führung und wir schloßen uns der deutschen Gruppe an – mit entsprechendem Sticker, Kopfhörer und Führer. Ein tief bewegendes Ereignis, wenn man dann durch das Tor “Arbeit macht frei” maschiert. Die Bilder kennt man aus Filmen. Die Geschichten z.T. aus Büchern und Erzählungen – Leon Uris, Golda Meir, Anne Frank, Viktor Frankl usw. Doch ist es noch mal etwas anderes selber dort durchgeschleust zu werden. Anonyme Gruppen, graue Baracken und über allem der blaue Himmel.

Der Ort ist schon unheimlich. Sicher das Beispiel für Verfolgung, Heimatlosigkeit, Menschenfeindlichkeit bis hin zur schlimmsten Bestialität: Homo homini lupus. Es wurde nicht besser durch die nüchterne Berichterstattung der Führerin, die sich gut in Deutsch ausdrücken konnte und ihren Vortrag emotionslos – aber dadurch äußerst wirkungs- und eindrucksvoll vortrug. Ich dachte wiederholt: “Sie tut halt ihren Job.” Im diesem Zusammenhang hatte das aber schreckliche Konnotationen. Genauso wie das hübsche Familienhaus des Lagerkommandanten jenseits des Zauns – aber sehr wohl in der geschlossenen Anlage dieses gräßlichen Vernichtungslagers – der Familienvater, der tagsüber halt seinem “Beruf” nachgeht. Wir sahen Berge von Brillen, Gebetschals, abgeschorrenen Haaren, Schuhen, Koffer und hörten immer mal wieder den Satz, der so verheißungsvoll für die müden Ankömmlinge, fahrenden Häftlinge und meist so hilf- und ahnungslosen Gefangenen: “Bald gibt es eine Dusche und eine warme Suppe!” Es war wohl die letzte (leere) Verheißung, die diese armen Geschöpfe hörten ehe sie aufs grausigste vergast wurden. Welch schreckliche Versuchung den Glauben zu verlieren!

Es ist dann merkwürdig, wenn man in der Reihe steht und die Leute versuchen mit Tricks sich an den Wartenden vorbeizuschmuggeln oder wenn zwischen den Führungen durch beide Lagern Auschwitz und Birkenau eine kl.Verschnaufspause eingeschaltet wird und wir Wasser und einen Hot-Dog kauften. Kann man das noch nach Auschwitz? Sogar in Auschwitz. Wir haben es getan. Wir sind sehr bald wieder auf der Straße gewesen und weiter in unserem Urlaub. Doch der Besuch hat mich noch nicht losgelassen. Es ist wirklich ein Ort gegen das Vergessen, das hoch-zivilisierte Menschen aus Hochmut und übersteigerter Hybris andere Menschen – ja, ganze Völker das Menschsein absprachen und sie so effizient, technologisch fortgeschritten und billig wie möglich ausrotten wollten – tausend- und millionenfach, wenn schon das einfach Morden unschuldigen Lebens unter Gottes Zorn und Strafe fällt. Das waren hilflose Frauen und Kinder, wehrlose Opas und Omas – kranke, ausgehungerte, zu Tode geschundene auch. Kein Wunder haben deutsche Militärs sich geschähmt und zu spät sogar versucht zurückzurudern… “Die Geister, die ich rief, die werde ich nicht wieder los!” (Goethe, Zauberlehrling) Wir sahen eine ganze Kompanie israelischer Offiziere – sicher an die 50-60 Frauen und Männer. Das sind Überlebenden. Gott sei Dank gibt es welche! Und wieder ertönt das schreckliche “Juden raus!” – nicht nur aus dem Iran…

Es ist wie Martha Nussbaum festgestellt ist, die Normalität des Bösen, die so erschreckt. Gott sei Dank, hat das 3.Reich nicht tausend Jahre gehalten. Was wäre das geworden?

About Wilhelm Weber

Pastor at the Old Latin School in the Lutherstadt Wittenberg
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