Meine lieben Freunde und Verwandte…

Lange her hat sich mein Bruder über diese Anrede lustig gemacht und mir die Lust am wöchentlichen Briefeschreiben genommen. Natürlich konnte er es besser und viel lustiger. So habe ich dann halt mit der wöchentlichen Übung aufgehört. Schade, denn so habe ich mir eine gute Übung mit regelmäßiger, wenn auch wetterwendischer Lebensfreude nehmen lassen und mich weiter zurückgezogen. Dorthin, wo man versucht ist, sich fremde Nadelstiche fern und aufgeblähte Eitelkeit selbstgefällig intakt zu halten. Dabei ist das “sich-selber-auf-den-Arm-nehmen” gerade gut, billig und heilsam, da der alte Adam dadurch gedämpft und das “sich-selber-nicht-so-ernst-nehmen” gefördert wird. Aber sage das mal einem Einsiedler. Und was Wilhelmchen nicht lernt, lernt Wilhelm nimmermehr. Oder vielleicht doch? Naja, auf FB ist man halt mit freiwilligen Freunden unterwegs – nicht mehr mit familiär Angebundenen und konventionell Angeketteten: Lange lebe “Liberté”, nevermind “Fraternité”.

Natürlich lernt man mit der Zeit, dass selbst im abgeschotteten Dasein Fremdeinwirkung nicht ausgeschlossen, sondern im tatkräftigen Zusammenwirken mit Phantasie und Einbildungskraft weiterhin ziemliche Auswirkungen entfalten können. Man hört halt noch ein bisschen empfindlicher auf feinsten Nuancen hin. So konnte man in Wittenberg (MP) bei sternklarer Nacht nicht nur heulende Schakale und klagende Nachtschwalben, sondern auch den schier endlosen Kohlenzug erhorchen, der noch hinter Mkonda auf den Gleisen entlang zog. Oder man schaut noch weiter hinter die Kulissen, gräbt tiefer in den Unterlagen und sucht nach fragwürdigen Indizien. Wenn unsere sieben Sinne bei bestem Willen und mit aller Anstrengung nichts Verdächtiges entdecken und zu Tage fördern können, greifen wir halt zur phantasievollen Inspiration und enthusiastischen Schwärmerei, die ja schon von alters her Adams Sinn umwölkt und zutiefst umfangen hielten: „Sollte er nicht doch gesagt oder gemeint haben…“ Das wäre doch gelacht, wenn da nicht doch etwas von den Verdächtigungen hängen blieben. Es fängt früh an und hört doch nimmer auf, es sei denn, dass die so getrübten Sinne durch Sonne, Wind und Wolken abgelenkt, durch den guten Geist in der Musik oder gar im hellen Ruf vom einsamen Holzweg in die Gemeinschaft der Heiligen zurück, ja durch die Stimme des guten Hirten auf die schmale Bahn, auf der er uns wie mit treuen Mutterhänden zum Himmel leitet, hebt und trägt.

Der HERR ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser. Er erquicket meine Seele. Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen. Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich. Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein. Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des HERRN immerdar.

König David, Psalm 23

In der Korona-Krise werden wir alle in die Einsamkeit der Kleinfamilien zurückgedrängt. Das fällt anscheinend vielen weit schwerer als ich für möglich gehalten hatte. Schließlich ist das für uns hier in der Lutherstadt ja schon länger Alltag – ab vom Schuss in der besinnlichen Altstadt, wo sich nur hin und wieder mal der Postbote hin verirrt.  Aber nicht nur im romanischen Bereich kommt es angeblich in dieser Quarantäne zu erhöhtem Stress im Familienverband. Auch in der deutschen Hauptstadt warnt der Bürgermeister vor der häuslichen Gewalt, die sich in solchen Zeiten zu schnell entzündet und viel zu viel kaputtschlägt. „Wer nicht allein sein kann, der hüte sich vor der Gemeinschaft. Wer nicht in der Gemeinschaft steht, der hüte sich vor dem Alleinsein.“ schreibt Bonhoeffer in seiner pastoralen Schrift: „Vom gemeinsamen Leben“ auf Seite 66. Es bleibt halt mit unserem Tun verloren. Wir können uns ja selbst nicht helfen. Nicht alleine, noch gemeinsam. Wir fallen nur immer tiefer drein. Es ist kein Guts am Leben mein. Ja, zur Hölle muß ich sinken.

Wie gut, dass unser Herr und Heiland uns da nicht allein und im Stich lässt. Im Gegenteil, er hat mich erlöst, der treue und dreieinige Gott – mit seinem hl. teuren Blut und mit seinem unschuldigen Leiden und Sterben. Mich und alle Menschenkinder, die ihm ehemals den Rücken zugekehrt hatten, ihm spinnefeind und sich aber auch gar nichts von ihm haben sagen lassen. Solchen, hat er sich selbst dahingegeben in den Tod, als Sühneopfer, Strafgeld, zur Vergebung und seligen Erlösung von Sünde, Tod und Teufel. Er für uns, damit wir Frieden hätten – alleine und gemeinsam. Frieden höher als alle Vernunft. Ja, selbst in allem Unfrieden dieser Welt. Da können, dürfen und sollen wir uns und die anderen ertragen, geduldig und in dem Vertrauen, so wie er uns angenommen hat, so dürfen wir auch einander annehmen: „Ein jeder trage des anderen Last!“ (Gal.6,2) Da ist nicht mehr die Selbständigkeit das große Glück und Ziel, sondern vielmehr das miteinander, gemeinsame Verbunden- und Unterwegssein wie das längst formuliert wurde: „Gottes Mission: Unsere gemeinsame Aufgabe“

Er, der alle Last dieser Welt aufs Schand- und Fluchholz gehorsam getragen hat, hat uns damit vom Gefangensein in uns selbst erlöst und zu befreiten Gotteskindern gemacht. Er, der obwohl er Gottes Sohn ist, unser Herr und unser Gott und aller Ehre wert, und sich als solcher freiwillig erniedrigt hat zum liebevollen und gehorsamen Dienst an den Niedrigsten, Kleinsten, Entferntesten und Unwürdigsten bis zum Tode am Kreuz, hat uns nicht nur erlöst, sondern auch in seine Nachfolge gerufen, damit wir ihm gleich werden. Dazu sind wir getauft, dazu sind wir erlöst, dazu sind wir ins neue Leben gerufen. Damit wir ihm immer ähnlicher werden – kraft der einen heiligen Taufe mit der er uns in seinen Tod begraben und zu seinem neuen Leben berufen hat, kraft seines Evangeliums, das unsere Sünde verbigt und heilt alle unsere Gebrechen und kraft seines erlösenden Blutes, das nun auch in unseren Adern fließt und unseren alten Leichnam durchblutet, belebt und zu Gerechtigkeit und Heiligkeit bestimmt. Ja, kraft seines hl.Geistes, der uns unter Handauflegung reichlich zugeteilt wurde an Schlüsseldaten unseres Lebens, damit wir nun in ihm und von ihm beseelt, ihm danken und dienen unser Leben lang in Heiligkeit und Gerechtigkeit, die ihm gefällig ist und Frucht seiner Gnade bringen. Ohne ihn können wir nichts tun, ohne ihn wollen wir nichts tun, aber in, mit und durch ihn leben, weben und sind wir dank seiner göttlichen Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Keuschheit!

Aber Gott, der reich ist an Barmherzigkeit, hat in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, auch uns, die wir tot waren in den Sünden, mit Christus lebendig gemacht – aus Gnade seid ihr gerettet –; und er hat uns mit auferweckt und mit eingesetzt im Himmel in Christus Jesus, damit er in den kommenden Zeiten erzeige den überschwänglichen Reichtum seiner Gnade durch seine Güte gegen uns in Christus Jesus. Denn aus Gnade seid ihr gerettet durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es, nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme. Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen.

St. Paulus an die Epheser 2:4-10
  1. Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ, ich bitt, erhör mein Klagen; verleih mir Gnad zu dieser Frist, lass mich doch nicht verzagen. Den rechten Glauben, Herr, ich mein, den wollest du mir geben, dir zu leben, meim Nächsten nütz zu sein, dein Wort zu halten eben.
  2. Ich bitt noch mehr, o Herre Gott – du kannst es mir wohl geben –, dass ich nicht wieder werd zu Spott; die Hoffnung gib daneben; voraus, wenn ich muss hier davon, dass ich dir mög vertrauen und nicht bauen auf all mein eigen Tun, sonst wird’s mich ewig reuen.
  3. Verleih, dass ich aus Herzensgrund den Feinden mög vergeben; verzeih mir auch zu dieser Stund, schaff mir ein neues Leben; dein Wort mein Speis lass allweg sein, damit mein Seel zu nähren, mich zu wehren, wenn Unglück schlägt herein, das mich bald möcht verkehren.
  4. Lass mich kein Lust noch Furcht von dir in dieser Welt abwenden; beständig sein ans End gib mir, du hast’s allein in Händen; und wem du’s gibst, der hat’s umsonst, es mag niemand erwerben noch ererben durch Werke deine Gunst, die uns errett’ vom Sterben.
  5. Ich lieg im Streit und widerstreb, hilf, o Herr Christ, dem Schwachen; an deiner Gnad allein ich kleb, du kannst mich stärker machen. Kommt nun Anfechtung her, so wehr, dass sie mich nicht umstoße; du kannst machen, dass mir’s nicht bringt Gefähr. Ich weiß, du wirst’s nicht lassen.

Johann Agricola vor 1530 (Evangelisches Gesangbuch 343)

About Wilhelm Weber

Pastor at the Old Latin School in the Lutherstadt Wittenberg
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