Ein schöner Morgen heute Abend – hier im Osten wie im Westen, hier im Norden wie dort im Süden. So ähnlich hat das Papa Scharlach ja gerne gesagt. Der Mond ging knapp nach 5Uhr früh unter. Heute Abend ist dann voraussichtlich Vollmond. Da ich früh raus wollte, hatte ich meinen zeitig Wecker gestellt. Das war ein Rat meines alten Professors (O.Hartmut) Günter. Er meinte, sonst würde man unruhig schlafen und die ganze Nacht gespannt hoffen, dass man das zeitige Aufstehen nicht verschliefe. Ich habe trotz Wecker unruhig geschlafen. Vier Minuten vor der Zeit konnte ich ihn endlich abstellen ohne dass ich jemand anders geweckt hätte. Bis dahin habe ich einen alten Traum aus lang verflossenen Tagen in stündlichen Etappen mit vier Intervallen – Mitternacht, 1Uhr, 3Uhr und endlich 4Uhr – erlebt und noch auf dem Hochsitz bewegte mich das.
Monduntergang über der Molkerei
Es ist schon merkwürdig wie man so vieles vergisst, aber manche Geschichten, Personen und Begebenheiten bleiben einfach hängen. Das ist ja gar nicht so als ob das weltbewegende Dinge wären. Ganz und gar nicht. Manchmal ist es völlig belanglos, was einem da in den Sinn kommt. Oft hat man es bei Sonnenaufgang schon wieder vergessen. Manchmal bleibt dieses oder jenes einem aber noch nachhängen: Ein Kartenspiel lange, lange her auf einem gemütlichen Familiensitz. Ein knöcheriger, aber reichlich tragender Avocadobaum unter dessen Schatten ich auf einer Konzertreise Ruhe, Abgeschiedenheit und Alleinsein zum Nachsinnen suchte und ebenfalls nicht fand, weil der alte Schafhirte mich fand und meinte, ich sei ein „rondloper“ (Vagabund bzw nach Koos du Plessis: “Swerwer“) und mich deswegen bei seinem Bass, dem Farmer verpetzte. Eine lustige Party mit „sokkie-sokkie“ und saurer Bowle, tolles Tennisspielen, Schwimmen im Dam und dann Sonnenbrand und mehr unbeschwerter jugendlicher Zeitvertreib.
Da ist es wie ein alter Film, der sich parallel zum jetzigen Leben abspielt. Eine Traumwelt von anderswo. Phantastisch. Nichts mehr als das, aber doch nimmt es mich die ganze Nacht und noch länger auf die Reise. Die unendliche Geschichte? Ist schon merkwürdig. Irreal, weit weg und doch zum Greifen nahe. Es ist als wären die Jahre an den Betroffenen spurlos vorübergezogen. Dabei ist inzwischen so viel passiert. Manche sind schon nicht mal mehr mit uns. Und wir sind so weite Wege in ganz andere Richtungen gegangen. Komisch? Merkwürdig? Belanglos? Einfälle bloß. Nebelschwanden, die sich im Sonnenlicht verdünnisiern: “Ons is maar kinders van die wind“. Vielleicht war die Decke zu warm, der Mond zu voll oder der Wecker zu nah, doch plötzlich ist man mit „Alice in Wunderland“ in den sprichwörtlichen „Hasenbau“ eingetaucht nach woanders und spielt da Unerhörtes, als Vergangenheit Abgehaktes haut- und zeitnah nach und mit.
Ek ken ‘n ou, ou liedjie
Van lewenswel en wee
Van lank-vergane skepe in
Die kelders van die seeDie woorde is vergete
En tog, die deuntjie draal
Soos vaag-bekende grepies in
‘n Baie ou verhaalVan swerwers sonder rigting
Van soekers wat nooit vind
En eindelik was almal maar
Net kinders van die windGesigte, drome, name
Is deur die wind verwaai
En waarheen daardie woorde is
Sou net ‘n kind kon raaiSwerwers sonder rigting
Koos Du Plessis
Soekers wat nooit vind
En eindelik was almal maar
Net kinders van die wind
Der Traum lädt ungefragt, ungewollt und völlig unerwartet ein zum Eintauchen, Mitmachen, Dabeisein und Weiterträumen als wäre man nicht schon längst auf einem ganz anderen Planeten, in einer anderen Welt und Zeit. Das ist kein Wunschprogram, sondern eher ein Lottospiel. Der Kreis dreht sich, aber wo die Kugel landet ist völlig ungewiss. Ich weiß nicht mal, ob sie landet oder einfach nur weiter rollt, und rollt: „Ich wäre ja so gern noch geblieben, aber der Wagen, der rollt!“ Tagsüber ist das anders. Da geht man mit Sorgfalt den Gedanken nach, stöbert, wühlt und kratzt gar in der Geschichte rum, sucht nach längst verlorenem und freut sich, wenn dieser Name oder das Gesicht wieder in der Erinnerung auftaucht und man diese oder jene Geschichte wieder zusammengesetzt bekommt. Das ist dann etwas strukturierter und viel klarer und hellsichter als die Bilder im Traum. Die Uhr erinnert pünktlich ans stündliche Aufstehen und Durchatmen ohne, dass auch nur eine Stunde verschlafen oder vergessen würde – und ehe man sichs versieht ist auch dieser Morgen soweit fortgeschritten, dass der Postbote kommt und das Mittagsgebet eingeläutet wird.
Das Rapsfeld liegt immer noch gelb ausgestreckt soweit das Auge geht. Nur am Feldrand haben die Tiere noch Kräuter und Gräser zu knabbern, Vögel noch Sämereien zu erwarten und unsere Augen was zum Ausruhen von der knalligen Farbenpracht. Die Nachtigall lässt sich nicht beeindrucken und sing fröhlich weiter ihr altes Lied – “alte, liebe Lieder” – gerade so wie beim vorigen Besuch. Heute bemerkte ich noch eine Goldammer, einen Goldfasan, ein Zug Enten und vier Kraniche. Ein Reh graste hinten am Waldrand, wo die ersten Sonnenstrahlen kurz vor 6Uhr einfielen. Sonst war es ganz ruhig im Revier. Nur das ständige Rauschen der Autos im Hintergrund von der Bundesstraße im Osten, obwohl der Wind aus Westen kam. Der Verkehr ist fast wieder normal – auch ohne Touristentrubel. Die kommen ja sowieso meist mit dem Bus oder mit der Bahn, wenn sie nicht mit dem Dampfer am Elbe Pier im kl.Stadthafen anlegen. Aber die Einheimischen fahren, radeln und kutschieren zur Arbeit als könnten sie allein schon mit ihrem Verkehrseinsatz das heruntergefahrene und arg strapazierte Geschäft aufpäppeln, das verlorengegangenen wieder wettmachen. Es herrscht geschäftige Betriebsamkeit wie bei einem munteren Bienenschwarm im milden Frühling. Dabei herrschen bei uns noch fast winterliche Temperaturen. Zu früh zum Erholen. Noch ist die Zeit nicht Reif für Entwarnung und grünes Licht. Die bisherigen Einschnitte waren zu tief, zu plötzlich, zu automatisch. Das wird dauern bis das wieder wird und bis man das verarbeitet und durchdacht hat. Da hilft kein noch so viel Fahren, emsiges Winken und fleißiges Strampeln. Doch die eifrige Arbeitslust ist ansteckend – fast so wie das Virus – doch weit weniger schädlich – hoffentlich!
Darum wollen wir fröhlich wieder anpacke, die Türen aufsperren und das Geschäft möglichst offen und einladend machen – vielleicht kommen ja wirklich ein paar Gäste und Fremdlinge. Sie sind herzlich willkommen. Bis dahin singe ich halt fröhlich und getrost das schöne Lied vom Sonntag Jubilate – und freue mich über meinen Herrn und Heiland, der vom Tode auferstanden ist, der für uns alle lebt und uns allen zugut regiert zum Heil und lauter Segen. Das ist kein Traum, sondern Wirklichkeit:
1) Die ganze Welt, Herr Jesu Christ,
Halleluja, Halleluja,
in deiner Urständ fröhlich ist.
Halleluja, Halleluja.2) Das himmlisch Heer im Himmel singt,
Halleluja, Halleluja,
die Christenheit auf Erden klingt.
Halleluja, Halleluja.3) Jetzt grünet, was nur grünen kann,
Halleluja, Halleluja,
die Bäum zu blühen fangen an.
Halleluja, Halleluja.4) Es singen jetzt die Vögel all,
Halleluja, Halleluja,
jetzt singt und klingt die Nachtigall.
Halleluja, Halleluja.5) Der Sonnenschein jetzt kommt herein,
Halleluja, Halleluja,
und gibt der Welt ein’ neuen Schein.
Halleluja, Halleluja.6) Die ganze Welt, Herr Jesu Christ,
Friedrich von Spee 1623
Halleluja, Halleluja,
in deiner Urständ fröhlich ist.
Halleluja, Halleluja.