Der halben wir so eigentlich beides erwenet und ausgedrückt, da wir haben leren wöllen, was die Erbsunde sey, beide, die böse lust und auch den mangel der ersten gerechtigkeit im Paradis. Und sagen, derselb mangel sey, das wir Adamskinder Gott von hertzen nicht vertrauen, ihnen nicht fürchten noch lieben. Die böse lust sey, das natürlich widder Gottes wort all unser sin, hertz und mut stehet, da wir nicht allein suchen allerley wollust des leibs, sondern auch auff unser weisheit und gerechtigkeit vertrauen und deagegen Gottes vergessen und wenig, ja, gar nichts achten. Und nicht allein die alten Veter als Augustinus und dergleichen, sondern auch die neulichsten lerer und Schloastici, die etwas verstand gehabt, leren, das diese zwey steück semptlich die Erbsunde sind, nemlich der mangel und die böse lust. Denn also sagt Sanct Thomas, das Erbsund ist nicht allein ein mangel der Ersten gerechtigkeit, sondern auch ein unördentlich begirde odder lust inn der seelen. Derhalben ist es, sagt er, nicht allein eitel lauter mangel, sondern auch „aliquid positivum“. Und Bonaventura auch sagt klar: Wenn man fragt, was die Erbsunde sey, ist dies die recht antwort: Das es ein ungeweret (ungezügelte), böse lust sey. Auch ist die recht antwort, das es ein mangel sey der gerechtigkeit; und eins gibt das ander.
Gleich dasselbig meinet auch Hugo, da er saget: die Erbsunde ist blindheit im hertzen und böse lust im fleisch, denn er will anzeigen, das wir Adamskinder alle so geborn werden, das wir Gott nicht kennen, Gott verachten, ihm nicht vertrauenb, ja ihnen auch flihen und hassen. Denn das hat Hugo wollen kurtz begreiffen, da er gesagt: „Ignoratia in mente“, blindheit odder unwissenheit im hertzen. Und die sprüche auch auch der neuesten lerer stimmen uberein mit der heiligen schrifft. Denn Paulus nennet die Erbsunde unterzeitten mit klaren worten einen mangel Göttliches liechtes etc. iCorin.ii: „Der natürlich mensch aber vernimpt nichts vom Geist Gottes“; und an andern orten nennet er es „böse lust“ als zu den Römern am vii., da er sagt: „Ich sehe ein ander gesetz inn meinen geliedern“ etc., Welche lust allerley böse früchte gebiret. Ich könd hie wol viel mehr sprüche der schriffte furbringen von beiden diesen stücken, aber inn dieser öffentlichen warheit ist es nicht not. Ein jeder verstendiger wird leichtlich sehen und mercken, das also one Gottesforcht, one vertrauen im hertzen sind nicht allein actus odder wircklich sunde sein, sondern ein angeborn mangel des Göttlichen liechts und alles guten, welcher da bleibt, solange wir nicht durch den heiligen geist neu geborn und durch den erleuchtet werden.
Wie wir nun bisher von der Erbsunde geschrieben und geleret, so leren wir nichts neues, nichts anders denn die heilige schrifft, die gemeine heilige Christliche kirche. Sondern solche nötige, tapffere, klare sprüche der heiligen schrifft und der Veter, welche durch ungeschickt gezenck der Sophisten unterdrückt gewesen, bringen wir widder an tag und wollten gern die Christlich lere rein haben. Denn es ist jhe am tage, das die Sophsten und schuelzencker nicht verstanden haben, was die Veter mit dem wort „mangel der ersten gerechtigkeit“ gemeinet. Dis stücke aber eigentlich und richtig zu leren und was die Erbsunde sey oder nicht sey, ist gar hoch vonnöten und kann niemand sich nach Christo, nach dem unaussprechlichen schatze Göttlicher hulde und gnade, welche das Evangelium furtregt, hertzlich sehnen oder darnach verlangen haben, der nicht sein jamer und seuch erkennet, wie Christus sagt: „die gesunden dörffen des artztes nicht“. All heilig, erbar leben, alle gute wercke, soviel immer ein mensch auff erden thun mag, sind fur Gott eitel heuchley und greuel, wir erkennen denn erst, das wir von art elende sunder sind, welche in ungnaden Gottes sein, Gott widder fürchten noch lieben. Also sagt der Prophet: Dieweil du mir es gezeigt hast, bin ich erschrocken, und der Psalm: „Alle menschen sind lügener!“ das ist, sie sind nicht recht gesinnet von Gott.
Hier schreien nu die widdersacher hefftig widder Doctor Luther, das er geschrieben hat, die Erbsunde bleibe auch nach der Tauffe, und sagen dazu, derselbig Artikel sey billich verdampt von Bapst Leo dem Zehenden. Aber Keiserliche Maiestat wird hie öffentlich finden, das sie uns gantz unrecht thun; denn die widdersacher verstehen fast wol, auff was meinung Doctor Luther das gered will haben, da er sagt, die Erbsunde bleibe nach der Tauffe. Er hat allzeit klar also geschrieben, das die heilige Tauffe die gantz schuld und erbpflicht der Erbsunde wegnimpt und austilget, wiewol das „material“ der sunde, nemlich die böse neigung und lust, bleibet. Darüber inn alle seinen schrifften setzet er noch dazu vom selbigen material, das der heilig geist, wilcher gegeben wird durch die Tauffe, aufehet innwendig die uberig böse luste teglich zu tödten und zu leschen und brengt ins hertz ein neu liecht, ein neuen syn und mut. Auff die meinung redet auch Augustinus, da er also sagt: die Erbsunde wird inn der Tauff vergeben, nicht da sie nicht mehr sey, sondern das sie nicht zugerechnet werde.
Da bekennet Augustinus öffentlich, das die sunde inn uns bleibt, wiewol sie uns nicht zugerechnet wird. Und dieser spruch Augustini hat den lerern hernach so wol gefallen, das er auch im Decret angezogen wird. Und widder Julianum sagt Augustinus: Das gesetz, das inn unsern gelidern ist, ist weggethan durch die geistliche widdergepurt und bleibt doch im fleisch, welchs ist sterblich. Es ist hinweg gethan, denn die schuld ist gantz los durch das Sacrament, dadurch die gleubigen neu geborn werden, und bleibt noch da, denn es wircket böse lust, widder wicleh kempffen die gleubigen. Das Doctor Luther so helt und leret, wissen die widdersacher fast wol, und so sie es nicht können anfechten, sondern selbs bekennen müssen, vorkeren sie ihm böslich die wort und deuten ihm sein meinung felschlich, die warheit unterzudrücken und unschuldig zu verdamnen.
Aber weiter disputirn die widdersacher, das die böse lust ein last und auffelegte straffe sey und sey nicht ein solche sunde, die des todes und verdamnis schuldig. Dawider sagt Doctor Luther, Es sey ein solche verdamliche sunde. Ich habe hie oben gesagt, das Augustinus auch solches meldet, die Erbsunde sey die angeborne böse lust. Sol diese ubel gered sein, mögen sie es mit Augustino ausfechten. Darüber sagt Paulus: „Die sunde erkant ich nicht one daurch das gesetze; denn ich wuste nicht von der luste, wo das gesetz nicht gesagt hette: las dich nicht gelüsten.“ Da sagt jhe Paulus dürre eraus: ich wuste nicht, das die lust sunde war etc. Item: „Ich sehe ein ander gesetz in meinen geliedern, das da widderstreittet dem gesetze inn meinem gemüte und nimpt mich gefangen inn der sunde gesetze, welchs ist inn meinen geliedern.“
Dieses sind Pauli helle, gewisse wort und klare sprüche; da vermag kein gloss, kein listiges fündlein nichts widder; diese sprüch werden alle Teuffel, alle menschen nicht mügen umbstossen. Da nennet er klar die bösen lust ein sunde, doch sagt er, das solch sunde denjhenigen, so an Christum gleuben, nichts wird zugerechnet; doch an ir selbst ist es gleichwol warlich ein sunde, des todes und ewigen verdamnis schüldig, und hat keinen zweifel, das auch solchs der alten Veter meinung gewest. Denn Augustinus disputirt und ficht hefftig widder diejhenigen, die da hilten, das die böse neigung und lust am menschen nicht sunde were und widder gut noch böse, wie schwarzten oder weissen leib haben auch wider gut noch bös ist.
Apologia der Confession verdeutscht aus dem Latin durch Justum Jonam: AC II (Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche hg.v Dingel u.a. i.A. der EKD (V&R: 2014. S.256+258+260)
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