Mit der Aussage: wir Christen sind nicht besser als Nichtchristen; wir haben es besser als sie; werden wir vor aller falschen Sicherheit (securitas) gewarnt und zur echten Glaubensgewissheit (certitudo) ermuntert. Beides ist nötig: Die Warnung vor der falschen Sicherheit und die Ermunterung zu fröhlicher, überzeugter Glaubensgewissheit. Leider macht man manchmal die Beobachtung, als ob gerade in unseren Kreisen die Warnung vor der falschen Sicherheit für nötiger gehalten wird als die Ermunterung zur überzeugten Glaubensgewissheit. Das stammt sicher noch von der Beobachtung her, die Hans Otto Harms in einem Vortrag in Oberursel einmal zu Gehör brachte, dass die Hermannsburger besser leben, die Neuendettelsauer aber besser sterben würden. Das steht in direkter Verbindung mit den Liedern, die in Althermannsburger und Neuendettelsauer Kreisen gelernt und betont wurden. Dabei denke ich an: “Jesu, wahres Brot des Lebens, hilf, dass ich doch nicht vergebens oder mir vielleicht zum Schaden sei zu deinem Tisch geladen!” und an die Verse aus Wer weiß, wie nahe mir mein Ende: Ich habe Jesum angezogen schon längst in meiner heilgen Tauf; du bist mir daher auch gewogen, hast mich zum Kind genommen auf. Mein Gott, mein Gott, ich bitt durch Christi Blut; mach’s nur mit meinem Ende gut. Ich habe Jesu Fleisch gegessen, ich hab sein Blut getrunken hier; nun kann er meiner nicht vergessen, ich bleib in ihm und er in mir. …. Mein Gott, mein Gott, aus Gnad durch Christi Blut machst du’s mit meinem Ende gut.”Es ist eingängig die, die gerne Christen sein wollen, die Bitte in den Mund zu legen, dass sie doch nicht vergebens oder sich sogar zum Schaden zum Abendmahl geladen seien. Die Gewissheit, dass sie in Christus vergnügt leben, ohn alle Kümmernis sterben und gewiss glauben, dass Gott aus Gnade durch Christi Blut es mit ihrem Ende gut macht, muss Gott der heilige Geist ganz persönlich jedem ins Herz hineinpflanzen. Da dürfen wir lutherischen Katechismuschristen sogar sagen: Wir sind nicht besser als andere Christen. Wir haben es besser, wenn uns die Aussagen einfach selbstverständlich sind, dass der dreieinige Gott uns täglich reichlich mit aller Notdurft und Nahrung versorgt und uns und allen Gläubigen alle Sünden vergibt ohn all unser Verdienst und Würdigkeit aus lauter väterlicher göttlicher Güte und Barmherzigkeit. Sonntäglich bestätigt er uns das in der Zusage der Vergebung unserer Sünde um Christi willen im Rüstgebet, im Beichtgottesdienst (und wenn gewünscht in der Privatbeichte) durch die Absolution von allen Sünden im Namen des dreieinigen Gottes, im Empfang des Blutes Christi, das für uns vergossen wurde zur Vergebung der Sünden. Darüber hinaus will der Herr, dass in lutherischen Predigten sogar die Ermunterung zur Glaubensgewissheit durch das Evangelium vorherrscht vor der Warnung vor der falschen Sicherheit durch das Gesetz. Deshalb war ich dem begnadeten C. F. W. Walther immer gerade für seine letzte These über die rechte Unterscheidung von Gesetz und Evangelium dankbar: “Das Wort Gottes wird … nicht recht geteilt, wenn man in seiner Lehre nicht das Evangelium im Allgemeinen vorherrschen lässt.” Walther hatte keine Ansgt, dass Christen durch die Überbetonung des Evangeliums gleichgültig würden. Ein lutherischer Pastor tut gut daran, wenn er damit rechnet, dass seine Gemeindeglieder, die regelmäßig an Beichte, Abendmahl und Gottesdienst teilnehmen, nicht unbedingt sich für sündlos halten, auf ihr eigenes Können und Geld vertrauen und vor Selbstsicherheit strotzen. Er tut wohl daran vor allem auch mit solchen zu rechnen, die gern in ihrem Vertrauen auf die tägliche Fürsorge Gottes und die Vergebung ihrer Sünden um Christi willen gestärkt und befestigt werden wollen.
Mit der Überbetonung des Evangeliums ist selbstverständlich nicht gemeint, dass verschwiegen wird, dass das Evangelium denen gilt, die wissen, was es Christus gekostet hat, dass wir Sünder erlöst sind. Im Bekenntnis unserer Kirche geht es um das Evangelium, um “den großen Schatz, um die überschwänglichen Reichtümer der Gnaden”, die keiner erkennen kann, der “nicht das angeborene große Elend und unseren angeborenen Jammer” erkannt hat. Die Rettung aus diesem großen Elend und aus unserem angeborenen Elend kann gar nicht überbetont werden. Nur da wächst auch die Erkenntnis, dass die Früchte, die an sichtbaren Übertretungen der Gebote aus dieser bösen Wurzel hervorsprossen, böse sind und gemieden werden müssen. Ohne die Erkenntnis, dass alle Menschen durch die Erbsünde verdorben sind, stehen wir Christen in der Gefahr, dass wir bei der Warnung vor bestimmten Sünden mit Recht davon überzeugt sein können, dass uns da der Blitz des Gesetzes Gottes nicht trifft. Außerdem, wer die Auslegung der Zehn Gebote im Katechismus kennt und behalten hat, ist davon überzeugt, dass all die Früchte, die aus der bösen Wurzel hervorsprossen, böse sind. Deshalb weiß der, dem die angeborene Sündenschuld aus Gottes Wort feststeht, dass er nicht besser ist als ein anderer Mensch, aber durch die Gewissheit des Glaubens und der Vergebung seiner Sünden aus Gnaden um Christi willen hat er es besser….
Mit herzlichen Grüßen
Euer Wilhelm Weber aus Welbedacht